Hermann Friedl

Dekan
Hermann Friedl

Geistliches Wort - 05|2018

Pfingsten - das vergessene Hochfest der Christen?

„Der Heilige Geist schenkt den Gläubigen eine höhere Sichtweise von der Welt, vom Leben und von der Geschichte und macht sie zu Hütern der Hoffnung, die nicht zugrunde gehen lässt“ (Papst emeritus Benedikt XVI.). Der Verfasser des ersten Petrusbriefes drückt es so aus: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt“ (1 Petr 3,15).

Es ist derselbe Heilige Geist, durch den an Weihnachten Gottes Sohn Mensch geworden ist, der an Ostern Jesus Christus von den Toten auferweckt hat, mir selbst angesichts des Sterbens meiner lieben Mutter unlängst göttliche Kraft schenkt, auch wenn die Trauer menschlich sehr weh tut, und den wir am hohen Pfingstfest gebührend feiern, wenngleich die Pfingstferien zur Haupturlaubszeit geworden und viele nicht vor Ort sind, ganz zu schweigen von der Gleichgültigkeit mancher diesem Fest gegenüber!

Angesichts der Unsicherheiten und Ängste gegenwärtiger Zeit und Welt - man denke an den Giftgasmissbrauch und atomare Drohungen - fragen aber auch gläubige Christen nach dem Wirken des Heiligen Geistes. Sie verstehen die Systeme der globalen Welt nicht mehr, erfahren, wie Machthaber mit Willkür und Indifferentismus mitmenschliches Gleichgewicht erschüttern und Säulen der Stabilität wie etwa der christliche Glaube wegzubrechen drohen.
Die permanenten Gewalttaten, Terroranschläge und Kriege weltweit sind Ausdruck eines bösen, teuflischen Geistes, der Leben nicht bewahrt, sondern vernichtet. Es sind Lästerungen gegen den Heiligen Gottesgeist (vgl. Mt 12,31; Mk 3,29; 2 Thess 2,3f.; Hebr 6,4-8). Sie erinnern uns an das eigene Schicksal der Vertreibung, Flucht und Heimatlosigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg und an das Flüchtlingselend der Gegenwart.

Der „Beistand, Tröster, Heilger Geist“ (Gotteslob/GL 812,1) aber bewirkt, dass „die Erde … dem Licht entgegen [kreist], indes die Kirche Tag und Nacht [Gott] dankt für [seinen] Schutz und Segen mit jedem, der da betend wacht. Wenn uns der Schein der Sonne schwindet und Licht den fernen Ländern bringt, wird dein Erbarmen dort verkündet, vieltausendfach dein Lob erklingt“ (Raymund Weber - GL 96,2.3).
Wie sähe unsere Zeit und Welt erst aus, wenn nicht unzählige Menschen „seines Wohlgefallens“ (Lk 2,14) und „seiner Gnade“ (Gloria - GL 583,1) tatsächlich Tag und Nacht abwechselnd auf den beiden Hemisphären beteten! Wenn die einen schlafen, beten die anderen weiter, und vice versa (umgekehrt). Das stete Gebet (oratio continua) wirkt Wunder!

Ich bin unendlich dankbar für so viel Gutes, das in unserer Kirche und Gesellschaft geschieht, durch das Wirken des Heiligen Geistes - zum Wohl und Heil der Menschen (propter nostram salutem - nizäno-konstantinopolitanisches Glaubensbekenntnis, 4. Jhdt., GL 586,2) und nicht zuletzt zur größeren Ehre Gottes (Leitwort des hl. Ignatius v. Loyola).

Gleichzeitig frage ich mich aber auch besorgt, ob unsere Kirchenvertreter und Politiker im christlichen Abendland angesichts des Zeitgeistes und der weltgemeinschaftlichen Herausforderungen genügend christliches Profil zeigen, etwa, wenn der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, und der EKD-Ratsvorsitzende, Heinrich Bedford-Strohm, im Oktober 2016 auf dem Tempelberg in Jerusalem aus falscher Rücksicht anderen Religionsvertretern gegenüber ihr Brustkreuz ablegen, oder wenn es darum geht, den Sonntag als den christlichen Sabbat, als den ersten Tag der Woche und als den Tag der Auferstehung zu schätzen und zu schützen! Anstatt aus dem Ruhetag Kraft und Weisheit für die Aufgaben und Pflichten der bevorstehenden Woche zu schöpfen, werden Gespräche auf diplomatischer Ebene, Sitzungen mit parlamentarischen Vertreter/innen, Dienstreisen und Staatsbesuche anberaumt, ganz zu schweigen von den unzähligen Sportveranstaltungen, kommerzialisierten verkaufsoffenen Sonntagen und allerlei verlockenden Angeboten, die den christlichen Sonntag unterhöhlen und über kurz oder lang zum totalen und totalitären Kollaps führen.

Immer weiter, immer schneller, immer professioneller, effizienter und effektiver, die Digitalisierung nicht nur auf dem Vormarsch, sondern das mittlerweile alles Beherrschende - es scheint keine Grenze mehr zu geben, alles ist machbar, durch den Menschen, an Gott vorbei! Welt, Kirche und Mensch - quo vadis (wohin gehst du)?

Pfingsten könnte eine Kehrtwende sein, ließe ich mich denn auch auf das Wirken des Heiligen Gottesgeistes ein! Wenn ich die Überlieferungen des Arztes und Evangelisten Lukas in der Apostelgeschichte lese, das Pfingstereignis meditiere (Apg 2,1-13), von den ersten Bekehrungen höre (ebd. 2,37-42) oder von der Gütergemeinschaft der Urgemeinde ergriffen bin (ebd. 4,32-37), dann bin ich fest davon überzeugt, dass ein menschlich-barmherziges, kirchlich- und gesellschaftspolitisches Miteinander kraft des Heiligen Geistes möglich und absolut realistisch ist - wenn die Menschen denn in ihrem Leben und Glauben vorankommen möchten und nicht weiter ihr eigenes Grab schaufeln!

Pfingsten - Menschen beieinander, mit offenem Herzen für den anderen, für Neues und vor allem mit Perspektivenwechsel - mit dem Blick nach oben, auf den Heiligen Geistes, der uns einlädt, „mit eintönigen Angewohnheiten zu brechen, unser Leben, unsere Entscheidungen und unsere Existenz zu erneuern“, wie es Papst Franziskus in der Oster-Vigilfeier dieses Jahr im Petersdom formuliert hat und somit die Gleichgültigkeit und Antriebslosigkeit der Menschen anprangerte. Pfingsten lädt uns ein, Feuer und Flamme zu sein für die Sache Jesu, die Begeisterte braucht, wie es in einem Lied heißt, und Menschen, die „das Feuer hüten und nicht die Asche aufbewahren“ (Hl. Papst Johannes XXIII.)!

Dekan Hermann Friedl
Katholisches Dekanat Reutlingen Zwiefalten
Leitender Pfarrer der Seelsorgeeinheit Echaztal
(Pfullingen-Lichtenstein)

 

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